Wir haben uns unterhalten mit Meike Zumbrock, Geschäftsführerin der TourismusMarketing Niedersachsen GmbH und Ulrich von dem Bruch, Geschäftsführer der Lüneburger Heide GmbH, über Nachhaltigkeit im Niedersachsentourismus, ein neues Förderprojekt zur Anpassung an den Klimawandel in der Lüneburger Heide und was Nachhaltigkeit mit den „richtigen“ Gästen zu tun hat.
ⓘUrheber: TMNWas bedeutet Nachhaltigkeit im Tourismus und für die Tourismusbranche in Niedersachsen?
Zumbrock: Nachhaltigkeit steht für uns in Niedersachsen für Zukunftssicherheit und Resilienz. Entsprechend müssen wir den Tourismus so nachhaltig wie möglich gestalten. Im Zuge unseres großen Klimaanpassungs-Projekts haben wir dann in der Praxis gesehen, wo die Betriebe in den Destinationen wirklich stehen – und wie viel Arbeit noch vor uns liegt.
Wir waren das erste Bundesland, das sich beginnend vor drei Jahren so intensiv und im Detail mit den Folgen des Klimawandels für die einzelnen Regionen auseinandergesetzt hat. Aber wir als Landesorganisation können nur den Anstoß geben, alle an einen Tisch bringen und die Akteure miteinander vernetzen. Die eigentliche Umsetzung der Maßnahmen und von innovativen Ideen erfolgt dann in der Destination bzw. in den Betrieben.
Was sind in der Lüneburger Heide mit Blick auf den Klimawandel die größten Herausforderungen? ⓘUrheber: Lüneburger Heide GmbH
Von dem Bruch: Als erstes bin ich dankbar, dass die TMN als Landesebene das Thema der Klimafolgen für den Tourismus und die damit verbundenen Anpassungsstrategien angegangen ist. Denn solche Großprojekte können wir als DMO allein nicht stemmen. Eine Herausforderung ist sicherlich, dass das Thema Nachhaltigkeit – und erst recht das Ausarbeiten von Anpassungsstrategien als Reaktion auf den Klimawandel – bisher nicht zu unseren Kernaufgaben gehört. Das kommt jetzt als Add-on dazu. Entsprechend müssen wir uns überlegen, wie wir das ressourcen-technisch und vor allem finanziell stemmen können. Es gibt beispielsweise noch viel zu wenig Förderprogramme, die zu den neuen Aufgaben passen, die vor uns liegen.
Doch Geld allein löst noch keine Probleme. Ich brauche auch noch gute Leute – oder muss sie erst ausbilden bzw. schulen lassen. Nicht zuletzt bleibt das Thema Vernetzung eine große Herausforderung. Wir müssen es schaffen, unsere meist mittelständischen Betriebe, die ebenfalls oft knappe personelle Ressourcen haben, richtig abzuholen und ihnen die Informationen und Angebote so weiterzureichen, dass im Idealfall ein Netzwerk aktiver Partner entsteht. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass die Akquise erster Leitbetriebe nur im Vier-Augen-Gespräch funktioniert.
Wie unterstützt die TMN die Destinationsebene konkret, um diese Vernetzung zu fördern?
Zumbrock: Um Menschen in ein Netzwerk zu holen, muss man ihnen zeigen, was sie davon haben. Das wiederum funktioniert am besten über das Zeigen von Beispielen, also von Ideen, die an anderer Stelle schon erfolgreich umgesetzt worden sind. Im Alltag fehlt den meisten Betrieben die Zeit, Ideen selbst zu entwickeln. Diesen Wissenstransfer übernehmen wir als TMN mit verschiedenen Instrumenten. Beispielsweise stellen wir den Tourismusbetrieben einen „Anpassungskompass“ als Navigationshilfe im Prozess der Klimaanpassung bereit. Dieser Leitfaden ist in drei Kapitel gegliedert, die wir die drei „V“ der Klimafolgenanpassung im Tourismus nennen: „Vorsorge treffen“, „Verantwortung übernehmen“ und „Vernetzung optimieren“. Bei diesen übergeordneten Themenfeldern sollten Verantwortliche ansetzen. Der Anpassungskompass hilft Destinationen und Betrieben konkret bei der Standortbestimmung auf dem Weg zu passenden Maßnahmen und bietet hilfreiche Werkzeuge, die im TMN-Projekt „Klimawandel anpacken“ entwickelt wurden.
Welche Werkzeuge sind das genau?
Zumbrock: Wir haben auf unserem Tourismusnetzwerk eine kostenlose Plattform mit insgesamt zwölf Werkzeugen, die jederzeit abrufbar sind. Zum Download bereit steht beispielsweise das „Management Summary“ mit den wichtigsten Projektergebnissen auf einen Blick. Dann gibt es eine Ideenbörse mit vielen Best Practices, die anregen, das ein oder andere auch bei sich auszuprobieren. Wir haben einen „Klima-Check“ zur Überprüfung der touristischen Infrastruktur. Und um einen Überblick über Finanzierungsmöglichkeiten zu geben, stellen wir auch ein „Förderradar“ bereit. Hier ist also wirklich für jede touristische Arbeitsebene etwas dabei.
Die Lüneburger Heide kann in Kürze hoffentlich ein Förderprojekt umsetzen, das aus den TMN-Klimaanpassungs-Initiativen hervorgegangen ist. Wie genau ist das gelungen und was ist die Zielsetzung?
Von dem Bruch: Zuerst haben wir die verschiedenen Protagonisten auf unserer Ebene zusammen gebracht und in jedem unserer fünf Landkreise einen Workshop veranstaltet. Dabei haben wir erstmal für uns definiert, was wir in der Heide unter Nachhaltigkeit verstehen und Ideen eingesammelt, was wir für Maßnahmen umsetzen könnten, um gemeinsam besser zu werden. Ein Ergebnis dieses Prozesses: Die handelnden Akteure sehen jetzt, dass es gar nicht so schwer ist, erste Dinge umzusetzen. Und vor allem: Es tut nicht weh! Wir erfinden auch das Rad nicht neu, sondern nutzen auch Ideen und Best Practices von Kollegen. Dafür übernehmen andere Regionen wiederum Ideen von uns.
Ganz konkret sollen jetzt zum Beispiel mehrere Gastgeber Hochbeete zur teilweisen Selbstversorgung angelegt. Das sind kleine, regional aber wichtige Schritte, um zum einen endlich anzufangen, zum anderen aber auch, um dieser weitverbreiteten Es-ist-eh-alles-zu-spät-Mentalität etwas entgegenzusetzen. Die vielen Drohszenarien lähmen viele zunehmend. Wir als DMO sind der Motor, der den Prozess lokal moderiert, die Akteure miteinander vernetzt und im ersten Schritt in Vier-Augengesprächen auch Betriebe als Zugpferde ins Boot holt.
Was genau soll am Ende der 12-monatigen Förderperiode entstanden sein?
Von dem Bruch: Sobald der Förderbescheid bewilligt ist, werden wir das Projekt ausschreiben und uns externe Unterstützung dazuholen. Wir werden dann zeitnah ein Netzwerk schaffen, das gezielt jene Betriebe zusammenbringt, die tatsächlich schnell in die Umsetzung gehen können – und wollen. Die umgesetzten Ideen werden anschließend kompakt aufbereitet und allen Akteuren der Lüneburger Heide zur Verfügung gestellt, um so hoffentlich weitere Betriebe zu inspirieren, Dinge umzusetzen bzw. für sich zu adaptieren. Dabei müssen wir immer im Blick behalten: Die Dinge müssen ohne große Hürden für viele sofort umsetzbar sein. Wir wollen ins Rollen kommen – nicht mit teuren High-end-Projekten abschrecken.
Welche spezifischen Aufgaben und Umsetzungsmöglichkeiten sehen Sie auf den verschiedenen Ebenen des Tourismus in Niedersachsen?
Zumbrock: Wir stehen noch ganz am Anfang eines sehr großen Transformationsprozess. Und viele tun sich schwer damit, die sich verändernden Bedürfnisse in ihrem Bereich zu erkennen. Ein Beispiel: Überall an der Küste stehen Strandkörbe. Sie sind der traditionelle Windschutz, kommen aber aus einer Zeit, als es an der Küste auch im Sommer oft recht rau war. Jetzt werden die Sommer aber immer heißer. An einem heißen Sommertag wäre ein Sonnenschirm mancherorts inzwischen besser geeignet, weil darin die Luft nicht so steht. Doch natürlich muss nicht nur lokal ein Umdenken erfolgen. Wir als TMN sind daher immer auch im Gespräch mit Verbänden wie dem Dehoga, den IHKs und natürlich der Politik. Wir müssen es schaffen, Themen und Handelnde übergreifend miteinander zu vernetzen.
Können Sie einen Bereich nennen, wo Sie als TMN hier sensibilisieren?
Zumbrock: Nehmen wir allein das Thema Mobilität, essenzieller Bestandteil jeden Reiseerlebnisses. Das ist so komplex, dass eine Destination allein echte Veränderungen nicht herbeiführen kann. Hier braucht es Impulse und Zusammenarbeit an ganz anderer Stelle, um beispielsweise neue, intermodale Mobilitätskonzepte zu etablieren, eine Ladeinfrastruktur für E-Autos aufzubauen oder den ländlichen Raum inklusive unserer Inseln besser ohne Auto erreichbar zu machen. Maßgeblich sind hier das Wirtschafts-, das Verkehrs- und das Umweltministerium. Diese denken bei ihrer Arbeit aber von Haus aus nicht primär touristisch. Genau hier bringen wir uns ein! Während wir also die DMO-Ebene konkret mit Analysen, Ideen und Werkzeugen unterstützen, setzen wir gleichzeitig Impulse in viele weitere Richtungen.
Wie kann nachhaltiger Tourismus zur wirtschaftlichen Entwicklung in der Lüneburger Heide beitragen?
von dem Bruch: Leider ist es so, dass es um das Image nachhaltiger Produkte branchenübergreifend auf Kundenseite nicht so gutsteht, wie es wünschenswert wäre. Da schwingt immer etwas von Verzicht mit. Deshalb hat der wirtschaftliche Erfolg eines nachhaltigen Tourismus sehr viel damit zu tun, wer in eine Region kommt. Wir in der Lüneburger Heide haben zum Beispiel kaum Probleme mit Reisenden, die irgendwo Müll in der Natur hinterlassen. Unsere Gäste halten sich in der Regel auch daran, wenn auf einem Schild steht, dass man hier oder da aus Naturschutzgründen nicht wandern darf. Und sie begreifen das nicht als Verzicht. Im Gegenteil: Unsere Gäste sind in der Regel auch in ihrem Alltag zuhause nachhaltig. Das ist für uns ein riesengroßer Vorteil. Im Marketing sprechen wir nur noch gezielt Menschen an, die unsere Werte teilen. Und seit wir das strategisch so klar umsetzen, haben wir Rekordzahlen.
Können Sie ein paar Beispiele nennen, die in der Lüneburger Heide bereits umgesetzt wurden und Vorbildcharakter entwickeln?
Von dem Bruch: Unser Paradebeispiel ist der „Heide-Shuttle“, ein Touristenbus, der vom 15. Juli bis 15. Oktober auf fünf Ringen durch die Heide fährt. Die Fahrt ist kostenlos, Fahrräder können auch mitgenommen werden und wir sehen, dass wir damit rund 30.000 Autofahrten in diesem Zeitraum vermeiden. Obwohl 90 Prozent unserer Gäste mit dem eigenen PKW anreisen, schaffen wir es also, dass ein Teil davon während des Aufenthalts bei uns auf den Bus umsteigt. Perspektivisch beobachten wir hier auch sehr genau, wann autonome E-Busse solche Verkehre leisten könnten. Dann würde es auch ökonomisch interessant.
Dann haben wir ein Netzwerk von Heidemanufakturen geschaffen, kleine Betriebe, oft von jungen Zugezogenen aus dem Hamburger Raum, die von Gin über Heilpflanzen bis zu Duftprodukten viel Kreatives anbieten. Alles regional und nachhaltig produziert. Wir sorgen hier zum einen für Sichtbarkeit, planen aber genau wie bei unseren vielen Imkern auch ein digitales Shop-System beim Onlinevertrieb.
Welche neuen Trends oder Technologien sehen Sie als besonders vielversprechend für die Zukunft eines nachhaltigen Tourismus?
Zumbrock: Die Nachhaltigkeit ist ein Bereich, der in Zukunft besonders stark von der Digitalisierung profitieren kann. Wie nie zuvor kommen wir flächendeckend immer mehr in die Lage, Informationen zu verteilen und wichtigen Themen Reichweite zu geben. Wo gibt es nachhaltige Reiseangebote, zertifizierte Betriebe oder kostenlosen ÖPNV? Das alles bekommt der Gast heute schon auf sein Handy. Und durch immer bessere Personalisierung, die Möglichkeiten aufkommender KI-Tools und -analysen werden Menschen in Zukunft immer konkreter mit dem versorgt werden, was sie wirklich interessiert. Wenn wir es jetzt richtig machen, versetzen wir die Menschen immer besser in die Lage, nachhaltige Entscheidungen treffen können.
Voraussetzung für eine nachhaltige Tourismusentwicklung ist aber immer auch, dass die Menschen vor Ort mitziehen. Das Thema Tourismusakzeptanz muss also immer mit im Blick sein. Ein weiteres Schlüsselthema ist die Mobilität in allen ihren Facetten: Ladeinfrastruktur, Förderungen, ÖPNV, Vernetzung verschiedener Verkehrsträger, Parkraummanagement, On-demand-Shuttle usw.. Wir als TMN wollen in dieses Thema stärker reingehen, mitgestalten und vernetzen. Hierzu bauen wir gerade auch eine neue Abteilung auf. Auch bei diesem großen Thema gilt: Anfangen!