Frau Wegener, der Weser-Radweg ist eine inzwischen jahrelange Erfolgsgeschichte: Was macht die Radroute so besonders?
Wegener: Der Erfolg des Weges ist zum einen durch seinen Verlauf zu erklären: Auf 520 Kilometern Länge geht es von Hann. Münden im Weserbergland, also einer Mittelgebirgslandschaft, bis an die Nordsee. Das ist so einmalig in Deutschland. Der Erfolg ist aber auch der Zusammenarbeit über die vier Bundesländergrenzen, den Landkreisen und DMOs geschuldet. Dass das ein hartes Stück Arbeit ist, kann sich jeder denken. Aber allen war klar, dass wir etwas tun mussten, als der Radweg, der ja schon in der 1970er und 80er-Jahren angelegt worden war, vor einigen Jahren im Ranking des ADFC immer weiter an Beliebtheit verlor. Die Lösung war ein zentrales Management für den Weser-Radweg. Diese Infozentrale, betrieben vom Weserbergland Tourismus e.V., ist zuständig nicht nur für die Instandhaltung und Weiterentwicklung der Infrastruktur, sondern auch für Marketing, Onlineauftritt und die Gästekommunikation. Nicht zuletzt sind wir der erste Ansprechpartner für alle Landkreise, Tourismusorganisationen und weitere Akteure. Dieses Konstrukt ist unser Erfolgsrezept. Inzwischen sind wir ein zertifizierter Vier-Sterne-Radweg und mehrfach in Folge der beliebteste Fernradweg Deutschlands.
Um Ihre Stellung im Markt zu halten, führen Sie seit 2012 eine Studie durch, um genaue Zahlen als Basis für weitere Maßnahmen zu haben. Was genau erheben Sie im Rahmen der Untersuchung?
Wegener: Zunächst ist es uns wichtig, Dinge nicht aus einem Bauchgefühl heraus zu entscheiden, sondern auf der Basis von Fakten. Finanziert wird die Radverkehrsanalyse von den Landkreisen Hameln-Pyrmont, Holzminden, Schaumburg, Nordrhein und Nienburg – also leider nicht von allen. Für die Studie gibt es acht feste Messstellen auf einem Abschnitt von 300 Kilometer Länge. Ein Ingenieurbüro betreibt für uns die Technik und liefert auch die Auswertungen. Getrackt wird an 365 Tagen, sodass wir automatisiert schon viele Daten erheben, etwa zu Frequenzen, Zeiten, Art der Nutzung, Fahrtrichtung, Wetter usw.
Das Gesamtbild ergibt sich dann in der Kombination mit unseren Vor-Ort-Befragungen, die von dem Weserbergland Tourismus e.V. und der Mittelweser-Touristik GmbH zusätzlich in Auftrag gegeben wurde. Es wurden fast 1.600 Gespräche geführt, in denen wir viel über das Verhalten und die Präferenzen unserer Gäste erfahren haben. Da stehe ich auch persönlich am Weg und führe Interviews.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Analyse? Und was können Sie eventuell auch zur Wertschöpfung, ausgelöst durch den Radweg, sagen?
Wegener: Wir wissen zum Beispiel, dass der Weser-Radweg fast ausschließlich touristisch genutzt wird. Für Pendler spielt er kaum eine Rolle. Wie viele Radfahrer in der Saison von Mai bis Oktober unterwegs sind, ist sehr stark witterungsabhängig. Im vergangenen Jahr, wo es ausgerechnet in den Sommerferien fast nur geregnet hat, waren es auf dem gemessenen Teilstück rund 373.000 – im Jahr 2022 bei gutem Wetter allerdings 530.000. Wenn wir uns die Zahlen aus 2023 genauer anschauen, dann haben 54.000 auf ihrer Radtour übernachtet. Und 37.000 davon sind echte Radwanderer, die von Ort zu Ort fahren. Diese Gruppe, oft Menschen um die 45 Jahre, gibt im Schnitt pro Tag und Gast 100 Euro aus und bucht 8,6 Übernachtungen. Vor zehn Jahren lagen die Tagesausgaben übrigens erst bei 60 Euro. Hier sieht man also eine deutliche Entwicklung! Nimmt man die Tagesgäste, die Regio-Radler und die Radwanderer zusammen, kommen wir auf einen Bruttoumsatz von 22,8 Millionen Euro mit einer Gesamtwertschöpfung von 12,4 Millionen Euro. Wenn man das mit den Kosten, die der Weser-Radweg jährlich im Unterhalt, Infrastruktur und Vermarktung verursacht, in Relation setzt, kommt heraus, dass die Einnahme 43 mal höher liegt als die erbrachten Aufwendungen. Diese Zahlen sind für uns in den Gremien sowie bei unseren Partnern eine wichtige Argumentationshilfe. Da kann sich jeder etwas drunter vorstellen.
Was kann man aus den Zahlen für die Produktentwicklung ableiten und was gibt es für weitere Learnings?
Wegener: Wir wissen aus den Daten zum Beispiel, dass mindestes 60 Prozent unserer Radfahrer inzwischen mit dem E-Bike unterwegs sind. Entsprechend sind die Tagesetappen der Radwanderer mit durchschnittlich 70 Kilometern inzwischen richtig lang geworden. Auch die Tagesgäste legen im Schnitt 50 Kilometer zurück. Das hat Einfluss auf die von uns vorgeschlagenen Touren, das Routing sowie die Infrastruktur, die wir und die Betriebe bereitstellen müssen. Cafés oder Biergärten entlang des Wegs sind zum Beispiel gut beraten, Lademöglichkeiten für E-Bikes anzubieten.
Aus der Studie wissen wir auch, dass Gäste längst nicht nur Unterkünfte, Sehenswürdigkeiten oder Angebote direkt an der Strecke nutzen wollen. Im Gegenteil: Sie sind bereit, bis zu sechs Kilometer vom Weg abzufahren. Entsprechend müssen sich inzwischen mehr Betriebe auf die Zielgruppe der Radfahrer einstellen.
Ebenfalls interessant sind die Reisemotive der Radwanderer. Am häufigsten genannt: kulturelle Erlebnisse. Direkt dahinter kommt der Wunsch nach guter Kulinarik, der bei den Tagesgästen sogar auf Platz eins liegt. Auch der Wunsch nach Naturerlebnis und Entspannung wird häufig genannt. Die Aspekte Gesundheit und Nachhaltigkeit dagegen eher selten. Und was unser ganzes Team besonders freut: Die Weiterempfehlungsquote liegt bei 98,7 Prozent.
Bisher gibt es nicht viele Radfernwege, die sich auf diese Weise mit ihrem Produkt beschäftigen, warum würden Sie anderen raten, dies auch in Angriff zu nehmen?
Wegener: Weil man einfach unglaublich viel über seine Gäste und sein eigenes Produkt lernt. Auch Trends oder sich verändernde Bedürfnisse nimmt man viel schneller wahr. Wir haben zum Beispiel lange gedacht, dass wir mit unserer eigenen App im digitalen Bereich gut aufgestellt sind. Doch obwohl unsere Nutzerzahlen ordentlich sind, mussten wir lernen, dass es ohne die Reichweite von komoot als wichtigste App für unsere Zielgruppen nicht geht. Entsprechend pflegen wir hier nun unsere Inhalte ein und berücksichtigen das auch in unserem Marketing. Die größte Herausforderung ist und bleibt aber nicht die Kommunikation in Richtung Gast, sondern zu unseren Partnern bzw. den vielen Betrieben.
Nur, wenn wir die Ergebnisse der Studien richtig in die Fläche bringen, können sich daraus Effekte bilden und im besten Fall Investitionen ergeben. In den Gremien präsentieren wir die Ergebnisse deshalb regelmäßig. Auch teilen wir die Studie über unsere digitalen Kanäle und Partner-Newsletter. Sollte darüber hinaus der Wunsch bestehen, dass wir eine Infoveranstaltung für Vermieter und Betriebe machen, kommen wir auch jederzeit gerne. Wenn ich mir persönlich etwas wünschen dürfte, wäre es, dass mehr Regionen und auch weitere Qualitäts-Radwege derlei Analysen machen, damit wir ein noch besseres Bild sowie eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Angeboten bekämen.